Heldinnen wider Willen
Der Spiegel, 2022

  • Ich habe zwei geflüchtete Frauen aus der Ukraine in der Nähe von Hamburg besucht, Kateryna und Natalia.

    Kateryna Najdionova ist 15, sie erzählt:

    "Es fielen Raketen auf einen Flughafen in unserer Nähe. Wir konnten die Einschläge hören, und meine Mutter sagte, dass wir Krywyj Rih jetzt verlassen müssen. Dein Vater, sagte sie, darf nicht mitkommen. Es war nicht das erste Mal, dass wir darüber sprachen, ich war trotzdem wie im Schock, weil ich gleich meinen Rucksack packen sollte. Ich habe einfach Klamotten reingestopft und Nüsse, Kekse, meine Taschenlampe und mein Handy.

    Die neue Schule in Deutschland ist schön. Aber ich frage meine Freunde, die in Krywyj Rih geblieben sind, jeden Tag, was sie denn jetzt so machen. Meinen Vater, der ja noch zu Hause sitzt, frage ich, wie es den Hunden geht. Oma und Opa müssen auf die Hunde aufpassen, wenn mein Vater Soldat werden muss."

    Natalia Kuprianova ist 63 Jahre alt, sie sagt:

    "Der Schaalsee ist ein ruhiger Ort, an den Menschen kommen, die sich entspannen wollen. Wenn ich jetzt aus dem Fenster schaue, ist die Aussicht wunderschön, man hört Vögel zwitschern. Aber in meinem Kopf ist es laut. Was ich gesehen und was ich gehört habe, das geht da nicht wieder raus.

    Es ist mir unangenehm, hier vor allem die Nehmende zu sein und kaum etwas Sinnvolles tun zu können. Ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet. Ich war Dekorateurin am Theater, ich war in einem Großhandel tätig, in einem Büro und zuletzt im Pflegeheim. Ich habe immer mein eigenes Geld verdient. Ich bin es nicht gewohnt, und es fühlt sich nicht gut an, nichts zu geben."

    Nach diesem Auftrag bin ich mit den Protagonistinnen nach Mölln gefahren, sie wollten ein paar Besorgungen machen. Wir fuhren durch die friedliche, sonnenbeschienene Landschaft und hörten Musik, alle waren sehr ruhig, nur ein paar Mal betonte Natalia, wie schön Deutschland sei. Ein Hund lief uns vor das Auto, wir lachten erleichtert auf, als er mit einem Schrecken davonkam, und mir wurde klar, was für ein privilegiertes Leben ich führe, wenn es für mich in diesem Moment das Schlimmste wäre, einen Hund zu überfahren.

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