Säuferkind
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"Das Gitter vor dem Hauseingang war früher nicht da. Die Frau, die in dieser Geschichte Cornelia Hoppe heißt, bleibt stehen, blickt hinauf. Aus den Zimmern im vierten Stock, erzählt sie, konnte man gut in die Fenster des gegenüber- liegenden Hauses schauen und auf das, was sich darin abspielte. In dem Gebäude mit der roten Fassade war früher ein Bordell. Wir sind mit Hoppe auf einen Spaziergang über den Hamburger Berg verabredet, die Amüsiermeile von St. Pauli, wo sie vor 50 Jahren mit ihrer Familie lebte. Station eins: ihr altes Wohnhaus. Das neue Gitter soll Feierwütige am Wochenende davon abhalten, mit Bacardi-Cola aus dem Backshop nebenan auf den Treppenstufen des Hauseingangs herumzulungern. Die Bewohner mögen Urbanität, wollen Alkoholisierte aber nicht zu nah bei sich wissen.
In Hoppes Kindheit gab es so ein Gitter nicht. Auch damals drang von draußen Geschrei und Kneipenlärm herein, erinnert sie sich, die Luft in der Wohnung war stickig, weil Mutter und Vater Kette rauchten, es gab keine Dusche, keine Wanne, keine Heizung. Dafür Schimmel an den Wänden und schrottreife Möbel. Die Brüder teilten sich ein Zimmer; Cornelia schlief bei den Eltern. Die wollten nur Flüssiges beschaffen, sich berauschen, wieder ins Licht torkeln.
„Säuferkind. Mein Leben als Co-Abhängige und wie ich trotzdem glücklich wurde“ heißt das Buch, in dem Cornelia Hoppe nicht nur davon erzählt, dass sie und ihre Brüder auf sich selbst gestellt waren, sondern auch von dem Strudel, in den der Alkoholismus der Eltern sie für Jahrzehnte ihres Lebens warf."Ich durfte "Cornelia" einen Nachmittag über den Kiez begleiten und war beeindruckt von ihrer Stärke und ihrem Lebensmut.
Text: Jana Felgenhauer.